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Abseits der Kunstmetropolen
Foto Emil Waas 1939
Frisch auf den Tisch  | Frühjahr 2014:
  
"... Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus / ...

Mit der Lupe die Seele erkunden

Vor kurzem ging in der Gustav-Wolf-Kunstgalerie in Östringen/ Kraichgau eine Ausstellung zu Ende, die den Fokus auf eine spektakuläre Sammlung der Nachkriegsära richtete. "Die Kunst zu überleben" lautete der Titel, der eine Zeit in Erinnerung rief, in der ein Krieg zu Ende ging, der über 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Ein Aspekt dieser unsägliches Leid verdeckenden Zahlenkolonne: Mehr als 11.000 000 deutsche Soldaten wurden in alliierten Straflagern interniert; davon ca. drei Millionen in sowjetischen. Der 26-jährige ehemalige Kunststudent und Sanitätsoffizier Emil Waas war einer davon. Ein sogenannter "prisoner-of-war" (POW)
   
Moskau POW Camp 7453 1946-48 Selbstportrait
   
Gefangengenommen März 1945; 48 Tage vor dem Waffenstillstand; deportiert in das Lager 2040 nahe Moskau; inhaftiert bis Dezember 1949. Was macht man gegen Kälte, Hunger, Hoffnungslosigkeit und Unmenschlichkeit? Hilft Kunst gegen "Angst essen Seele auf"? Und was, wenn schöpferisches Gestalten mit Verbot belegt ist? Drastische Sanktionen wie Kaltzelle (-10 Grad Celsius), Einzelhaft und Kürzen der knapp bemessenen Essensration nach sich zieht?
Emil Waas´ Antwort: Miniaturen. Nicht größer als eine Briefmarke (2.8 x 2.3cm) oder eine Matchbox (5.5 x 3.8cm). Und woher nimmt man die nötigen Malutensilien? Farben aus dem, was das Umfeld bietet: Kartoffel- Walnussschalen, Kohlblätter, Gräser, Stempelfarbe, Jod und Blut.
   
brush and ink; Sept 1947; 8x5cm blue ink; April 1947; 7,5x4,5cm
brush and ink; Sept 1947; 8x5cm blue ink; April 1947; 7,5x4,5cm
   
ink painting; Okt 1947; 8,5x5,5cm brown ink; undated; 11x28cm
ink painting; Okt 1947; 8,5x5,5cm brown ink; undated; 11x28cm
   
Als Pinsel Fingernägel, Haarbüschel, Vogelfedern, zerfaserte Stöckchen. Malgrund: Abrisse aus Kalenderblättern, Formularen, Zementsäcken etc. Auf diese Weise entstanden über 1000 Miniaturen, wovon 947 vor der Zerstörung durch die Lagerleitung bewahrt werden konnten. Allein im Oktober 1947 malte Elwa ("nom de plume") ca. 100 Aquarelle. Minutenskizzen von eigentümlich berührender Ästhetik . Kleinformatige Referenzen an die Epoche der Frühromantik eines Caspar David Friedrich, dessen chiffrierte Bildwelt bzw. Leitmotiv "Landschaftskompositionen mit Rücken­figuren" sich in Elwas´ Arbeiten widerspiegelt. Vereinzelt integrierte Gedichtzeilen u.a. von Eichendorff erzählen von der inneren Befindlichkeit des Künstlers. (weiterlesen)